我要德国

 找回密码
 立即注册

QQ登录

只需一步,快速开始

查看: 3724|回复: 2

联邦总统施泰因迈尔在四川大学的讲话(德文原文附中文)

[复制链接]

1

主题

2

帖子

9

积分

新手上路

Rank: 1

积分
9
发表于 2018-12-14 04:14:53 | 显示全部楼层 |阅读模式

Chengdu/China, 7. Dezember 2018
181204-10-Reise-China-14-Rede-Sichuan-Universitaet.jpg
Vielen Dank für Ihre freundliche Einladung! Ich darf Ihnen versichern: Für mich ist es eine besondere Ehre, heute an dieser traditionsreichen und renommierten Universität zu Ihnen zu sprechen.
Ich freue mich, dieses Jahr wieder in Chengdu zu sein. Nicht zum ersten Mal: 2008 war ich zum letzten Mal hier, unter ganz anderen Umständen. Es war die Zeit nach dem schrecklichen Erdbeben. Zehntausende Menschen sind damals ums Leben gekommen, Hunderttausende wurden verletzt. Für Millionen von Menschen war das Beben ein tiefer Einschnitt. Ich selbst habe die Begegnungen und Erlebnisse von damals bis heute nicht vergessen.
Heute, zehn Jahre später, sehe ich voller Bewunderung, wie wunderbar Sichuan wieder aufgeblüht ist. Chengdu hat sich in diesen zehn Jahren atemberaubend entwickelt. Und morgen werde ich nach Dujiangyan fahren und eine wiederaufgebaute Schule besuchen.
Ich bewundere den Willen, mit dem diese Stadt und die ganze Region die Katastrophe überwunden und sich der Zukunft zugewandt hat.
Schon bei meinen früheren Besuchen habe ich Sichuan als eine Gegend erlebt, wo man viel voneinander lernen kann! Wichtige Kulturtechniken sind bei Ihnen entstanden: von der Kunst des Druckens über die Erfindung des Pinsels bis hin zur künstlichen Bewässerung, die hier perfektioniert wurde.
Und umgekehrt hat Ihre Region eine wichtige Rolle gespielt, wenn es darum ging, neue Ideen von außen nach China hinein zu tragen und fruchtbar zu machen. Das erkennt man bis heute am kulturellen Reichtum und an der Vielfalt von Sichuan – von der traumhaften Küche ganz zu schweigen. Gerade in diesem Jahr, in dem Ihr Land an vier Jahrzehnte der Öffnung erinnert, bin ich froh, zurück in dieser Stadt zu sein. Denn: Chengdu war schon immer ein Tor für die Außenwelt, stand für Neugier auf anderes – auch auf fremdes Denken.
Und, wenn ich das so sagen darf: Chengdu war auch mein eigenes, ganz persönliches Tor nach China! Fast zwanzig Jahre ist das her, während meiner ersten großen China-Reise.
Seitdem habe ich Ihr Land viele Male besucht, auf der ganzen Welt mit Chinesinnen und Chinesen gesprochen, Ihre Kultur besser kennengelernt – und nie aufgehört zu lernen – von und über dieses großartige Land!
Auf dieser heutigen Reise komme ich also wieder in Ihre Stadt – übrigens ebenso nach Peking und Kanton, die gleichen Stationen wie damals, bei meinem ersten China-Besuch. Es ist kein Zufall, dass dieser Besuch jetzt meine bislang längste Auslandsreise als Bundespräsident ist. In ihm spiegelt sich die besondere Intensität der chinesisch-deutschen Beziehungen ebenso wie ihre Vielschichtigkeit.
Es ist nicht möglich, das komplexe Verhältnis unserer beiden Länder in eine Schublade zu stecken. Leider wird es in der Welt wieder üblich, die Beziehungen zwischen Staaten und Völkern nur in schwarz oder weiß zu malen. Aber es passt nicht auf das, was sich über die Jahrzehnte zwischen China und Deutschland entwickelt hat. Tausende Deutsche und Chinesen reisen inzwischen jeden Monat ins jeweils andere Land. Chinesen bilden die größte Gruppe unter den ausländischen Studierenden in Deutschland – und heute hier im Saal sehe ich so einige deutsche Studenten, die nach China gegangen sind! Viele unserer Unternehmen sind Partner, viele auch harte Wettbewerber. China und Deutschland haben beide von der offenen internationalen Ordnung profitiert, die für beide den Aufstieg zu Wohlstand und Sicherheit erst ermöglicht hat. In vielen Zukunftsfragen haben wir ähnliche Interessen und arbeiten zusammen, etwa gegen den Klimawandel und seine Folgen. Unsere beiden Länder sind so eng verbunden wie nie.
Gerade die wachsende Verflechtung lässt aber auch Verschiedenheiten hervortreten. Beim Blick auf die Verfasstheit unserer Gesellschaften und die Rolle des Individuums erkennen wir zum Teil auch deutliche Gegensätze. Der Umgang mit dieser Komplexität, dieser Spannung verlangt von beiden Seiten besondere Sorgfalt. Je öfter ich nach China komme, desto mehr werde ich mir der Vielschichtigkeit unserer Beziehungen bewusst – und der Notwendigkeit, mit ihr so offen und konstruktiv wie möglich umzugehen. Von alldem möchte ich heute sprechen: von meinen Lernerfahrungen und meinen Fragen, von meiner eigenen, langen Reise nach China.
Der große chinesische Philosoph Laotse hat geschrieben: Auch "eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt". Zwischen China und Deutschland liegen sogar deutlich mehr als tausend Meilen. Damals, vor vielen Jahren, als ich meinen ersten Schritt ging, war Ihr Land für mich noch eine fast unbekannte Welt. Vielen Deutschen ging es ähnlich – China schien weit entfernt, viel weiter noch als ein Fußweg von tausend Meilen. Ich habe neulich mal meinen guten, alten Weltatlas aus dem Regal gekramt. Stellen Sie sich ein wuchtiges Buch vor, erschienen in den 1990er Jahren, mit reichlich Kartenmaterial der ganzen Welt: darin Einzelkarten von USA und Russland natürlich, Europa und viele seiner Staaten, auch Indien, Australien und Kanada mit eigenen Seiten. Sogar die Arktis und die Antarktis in ihrer ganzen, kalten Pracht. Nur eine Seite mit China "auf einen Blick", die sucht man vergeblich.
Heute ist das völlig anders. China ist, wenn man das kurz fassen will, vom Rand in das Zentrum des weltpolitischen Interesses gerückt – und die Triebfeder dieser Veränderung war vor allem die Wirtschaft. Als ich das erste Mal nach China kam, lag der Beschluss zur Öffnung des Landes 25 Jahre zurück. China war damals schon größter Handelspartner Deutschlands in Asien. Heute ist China weltweit unser größter Handelspartner. Und Deutschland ist Chinas größter Handelspartner in Europa. Unsere Volkswirtschaften sind aufs Engste miteinander verwoben – eigentlich noch mehr: die chinesische und deutsche Volkswirtschaft sind inzwischen aufeinander angewiesen.
Daher sehen wir Deutschen auch ganz unmittelbar, was China in den vier Jahrzehnten seit der Öffnung geleistet hat. Ihr Sichuaner Landsmann, Deng Xiaoping, hat das Land damals mit Kühnheit und Weitsicht auf den Reformpfad gebracht. "Ich bin wie ein uigurisches Mädchen, das viele Zöpfe trägt", soll er einmal gesagt haben und meinte damit wohl, dass es sich auch bei aller Kritik und in schwierigsten Situationen lohnt, mutig zu bleiben und um pragmatische Lösungen zu ringen. Seitdem ist es Ihrem Land mit genau diesem Pragmatismus, mit Fleiß und Ehrgeiz gelungen, viele hundert Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Viele Chinesen genießen heute Wohlstand und Gesundheitsversorgung, Infrastruktur und Bildung. Allein in den Jahren seit meinem ersten Besuch ist die chinesische Wirtschaft nominal um mehr als das Siebenfache gewachsen! Davon haben vor allem Sie selbst profitiert. Aber: Das historisch beispiellose Wachstum Chinas hat auch zu deutschem Wohlstand beigetragen.
Der Weg unserer Verflechtung war nicht immer gradlinig, und auch nicht konfliktfrei. Auf den internationalen Märkten sind wir immer wieder auch Konkurrenten, gerade im Bereich der Hochtechnologie. Das stellt deutsche Unternehmen und Arbeitnehmer manchmal auf eine harte Probe. Vor einigen Jahren mussten in der Region, die ich als Abgeordneter damals im Parlament vertreten habe, im Osten Deutschlands, binnen kurzer Zeit gleich zwei große Solartechnikbetriebe schließen – weil sie der chinesischen Konkurrenz nicht länger standhalten konnten. Deutsche Hochtechnologieunternehmen werden heute manchmal zu Preisen aufgekauft, die kein deutsches Unternehmen zu zahlen bereit wäre. Und manche Vorstände deutscher Firmen stören sich nicht selten am schwierigen Marktzugang in China, finden Bedingungen vor, wie wir sie in Deutschland für ausländische Marktteilnehmer nicht haben. Hinter alldem stecken schwierige, aber wichtige Fragen wechselseitiger Fairness. Ich bin überzeugt: Nur wer miteinander spricht, kann Antworten finden, die beiden Seiten gerecht werden. Deshalb ist es gut, dass unsere Länder ihre starken wirtschaftlichen Verbindungen auch politisch und gesellschaftlich intensiv begleiten. Wir haben inzwischen mehr als achtzig regelmäßige Dialogformate zwischen unseren Regierungen, weit über tausend Kooperationen zwischen unseren Hochschulen und einen intensiven Austausch von Nichtregierungsorganisationen.
Besonders hervorheben möchte ich den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog, den wir vor gut zwanzig Jahren ins Leben gerufen haben. Dieser Dialog ist nicht einfach, aber ich weiß aus vielen Begegnungen, dass beide Seiten ihn wertschätzen. Rechtsstaatlichkeit ist ein Wort, in dem für uns Deutsche vieles steckt: die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns, das Vertrauen der Gesellschaft in die Regeln des Zusammenlebens, und letztlich unsere eigene historische Erfahrung mit Willkür und Unrechtsherrschaft. Und wir sehen auch: Je vielfältiger sich Gesellschaft und private Wirtschaft in China entwickeln, umso größer wird das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und rechtsstaatlichen Verfahren, die frei bleiben von willkürlicher Beeinflussung von außen. Auch hier kommen wir möglicherweise aus unterschiedlichen Welten und sehen viele Dinge noch unterschiedlich. Dennoch gehört dieser Rechtsstaatsdialog zu den fruchtbarsten Formen des Austauschs, die uns gelungen sind.
Auch wenn ich schon oft hier war, so geht es mir doch bei jedem neuen Besuch wie so vielen meiner Landsleute. Wer als Deutscher nach China kommt und aus dem Fenster schaut, der ist zunächst einmal mit dem eigenen Staunen beschäftigt. Wir sehen, wie ganze Städte scheinbar aus dem Nichts erwachsen, wie Eisenbahnlinien in ungeahnter Geschwindigkeit und Länge gebaut werden, wie Autobahnen und Flughäfen auch tief in der Provinz entstehen, wie ein riesiges Land mit modernster Infrastruktur versorgt wird. Ich kann Ihnen versichern: Wir Deutsche verfolgen all das mit enormem Respekt!
Und manchmal, auch das ist wahr, überkommt die Deutschen dabei ein etwas mulmiges Gefühl. Was hier geschieht, verändert nicht nur China, es verändert die ganze Welt. China verändert die Welt, in der wir groß geworden sind – und das mit ungeheurer Geschwindigkeit! Deshalb kann man vielleicht verstehen, dass sich in die Bewunderung auch ein wenig Sorge mischt. Diese Sorge drückt sich in einer Frage aus, die ich in Deutschland schon oft gehört habe: "Wohin mag das alles führen?"
Wohin mag das alles führen? Die Antwort auf diese Frage kennt niemand, auch ich nicht. Und ich vermute: Auch in China weiß kaum jemand, wohin uns die Dynamik führt, die in der Vergangenheit mehr von Europa und dem Westen, heute verstärkt von China angestoßen und befördert wird.
Aber so viel ist klar: Wenn wir Deutschen über den Weg nachdenken, den China vor sich hat, dann sollten wir zuallererst einmal den Weg verstehen, der hinter diesem China liegt.
Und manchmal stoßen wir dabei sogar wieder auf uns selbst. Denn die Frage "Wohin mag das alles führen?", die stellen sich ja nicht nur wir heute, sondern die haben sich auch die Menschen hier in China gestellt, oft genug mit dem Blick nach Westen. Zum Beispiel vor hundert Jahren, auch einer Phase des großen Umbruchs. In Europa denken wir in diesen Tagen oft an diese Zeit. Gerade erst im November habe ich gemeinsam mit unseren britischen und französischen Freunden an das Ende des Ersten Weltkriegs erinnert – und in Berlin dann an die Ausrufung der ersten deutschen Republik, die Abschaffung der Monarchie und die Einführung der ersten Demokratie in Deutschland.
Damals, vor hundert Jahren, haben vermutlich Ihre Vorfahren mit Blick nach Europa gefragt: "Wohin mag das alles führen?" In der "Bewegung des Vierten Mai", der ersten großen politischen Massenbewegung in China, wollten die Menschen an den Universitäten und auf den Straßen von den Fehlern der westlichen Großmächte lernen, um sie nicht zu wiederholen: weg vom übersteigerten Nationalismus, der in den großen Krieg geführt hatte, und hin zu einer Öffnung Chinas, zu einer kosmopolitischen Grundhaltung. Chinesische Denker und Entscheider haben damals den Schluss gezogen, dass ein Aufstieg mit Säbelrasseln und nationalem Egoismus nicht nachhaltig sein kann. Ich finde, diese Lehre ist heute für die ganze Welt nicht weniger aktuell als damals.
Der große Ba Jin, der ebenfalls aus Chengdu stammt, hat jene brisante Zeit vor hundert Jahren in seinem wunderbaren Roman "Die Familie"beschrieben: den Konflikt zwischen Modernisten und Traditionalisten, den Aufbruch in eine erste Periode intellektueller Globalisierung.
Ich sage Ihnen ehrlich: Nicht nur an diesem Beispiel, sondern bei jedem Besuch beeindruckt mich die Neugier, der Lerneifer, der Wissensdurst hier in China. Und ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen in Deutschland sich noch intensiver mit China befassen: mit seiner Geschichte, Kultur und Sprache. Nur wer die Vielfalt des anderen kennt, kann in seinem Urteil nicht einseitig und einfältig sein!
Aus eigener Erfahrung füge ich hinzu: Meine Sicht auf China hat sich bei jedem Gespräch, jeder Lektüre, jeder Reise immer wieder verändert und erweitert. Ich habe gelernt, dass unsere Erwartungen an den jeweils anderen ständig eines besseren oder eines anderen belehrt werden. Umso wichtiger finde ich das gegenseitige Verstehen-Wollen. Das Verstehen-Wollen gerade auch der Gründe, warum sich der andere vielleicht nicht den eigenen Erwartungen konform verhält. Warum China und Deutschland sich bei aller wachsenden Verwobenheit in manchen Dingen auch fremd geblieben sind.
Wir haben in Deutschland lange Zeit erwartet, dass China uns im Westen immer ähnlicher wird auf seinem Weg zu Wohlstand, Marktwirtschaft und gesellschaftlicher und internationaler Öffnung. Dass der chinesische Pfad eines Tages auf unseren Weg einmündet, den wir für historisch so zwingend vorgezeichnet hielten: den der liberalen Demokratie. Die Erwartungen haben sich nicht erfüllt.
Denn trotz aller Verflechtung, trotz aller Zusammenarbeit und trotz der Bindung an dieselbe internationale Ordnung sind wir historisch unterschiedlich geprägt und haben – nach wie vor – sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir als Gesellschaften leben wollen. Vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte, die im letzten Jahrhundert so viel Leid über unsere Nachbarn und am Ende auch über unser eigenes Land gebracht hat, steht in Deutschland die Würde des Menschen ganz am Anfang, im Artikel 1 unserer Verfassung. Wenn wir auf Chinas wirtschaftlichen Aufstieg blicken, dann tun wir das mit Respekt und Bewunderung. Gerade wir Deutschen, die unser Land nach 1945 aus Trümmern neu aufbauen mussten, können ermessen, was für Anstrengungen in China notwendig waren, um Millionen und Abermillionen Menschen in bitterster Armut eine Perspektive zu geben. Niemand hat das Recht, diese Leistung geringzuschätzen. Wenn das für hunderte Millionen gelingt, ist das viel, unendlich viel. Die Frage ist dennoch: Reicht das? Oder besser gefragt: Sind damit die Erwartungen der Menschen, die uns anvertraut sind, erfüllt?
Unsere eigene Geschichte erzählt uns, dass das Bedürfnis der Menschen – in langer Sicht – nicht allein auf materielle Güter ausgerichtet ist. Unsere deutsche Geschichte war lange Jahre geprägt von Unfreiheit und Unterdrückung. Das macht uns vielleicht besonders sensibel und aufmerksam für das, was mit jenen geschieht, die nicht der herrschenden Meinung sind, die einer Minderheit angehören oder ihre Religion ausüben wollen, die gewaltlos und friedlich für ihre Ideen und Gedanken werben. Deshalb sind wir besorgt und beunruhigt, wo immer persönliche Freiheiten eingeschränkt werden.
Ich ahne, dass das hier in China bisweilen als belehrend oder einmischend empfunden wird. Ich will aber dafür werben, dass hinter unseren Haltungen eine Erfahrung steht, die nicht nur Deutschland tief geprägt hat. Denn die Lehren aus zwei Weltkriegen und aus den beispiellosen, im Namen meines Landes verübten Verbrechen, die haben wir doch am Ende alle miteinander gemeinsam gezogen: Gewaltverzicht statt Recht des Stärkeren, Regeln statt Willkür, Zusammenarbeit statt Konfrontation, und die Würde und Gleichheit des Einzelnen als unveräußerliches Recht – das sind die Grundsätze des Zusammenlebens auf unserer Welt! Und diese Welt, in der wir gemeinsam leben, friedlich und lebenswert zu erhalten, das bleibt – bei allen Unterschieden – unsere gemeinsame Verantwortung. Und dafür wollen wir gemeinsam mit Ihnen arbeiten!
Mein letzter Besuch in China war vor zwei Jahren. Auch damals habe ich, wie immer, Neues gelernt: nämlich, dass in China wieder mehr Marx gelesen wird! Dieses Jahr erinnern wir an seinen 200. Geburtstag. Und die Stadt Trier, sein Geburtsort, bekam aus diesem Anlass sogar eine goldene Statue ihres berühmten Sohnes von der Volksrepublik China geschenkt.
Mir scheint in diesem Jubiläumsjahr: Deutsche und Chinesen können nicht nur auf aktuelle Fragen, sondern auch auf dieselben historischen und intellektuellen Bezugspunkte durchaus unterschiedliche Perspektiven haben. Karl Marx war ohne Zweifel ein großer deutscher Denker: ein wirkmächtiger Philosoph und Ökonom, Historiker und Soziologe, vielleicht ein weniger erfolgreicher Pädagoge und Arbeiterführer.
Aber, auch das ist wahr: Marx war immer ein leidenschaftlicher Humanist. Er forderte die Pressefreiheit, humane Arbeitsbedingungen, Bildung für alle, politische Rechte für Frauen, sogar damals schon: den Schutz der Umwelt. Seine Leidenschaft entstammte seinem Mitgefühl, seinem Sinn für die Würde und Freiheit der Entrechteten.
Wahr ist aber auch: Marx ist nicht Theorie geblieben, der Marxismus hat nicht nur Buchregale gefüllt und Universitätsseminare beschäftigt. Wir Deutsche können über Marx nicht sprechen, ohne zugleich an das Unheil zu denken, das im Namen des Marxismus im Osten unseres Landes und Europas angerichtet wurde. An die bleierne Zeit von mehr als vierzig Jahren Eisernem Vorhang – als der Marxismus alles galt und das Individuum nichts. An den Zynismus, mit dem Familien zerrissen wurden, Nachbarn gegeneinander in Stellung gebracht, Bürger hinter Mauern eingesperrt und Flüchtende ermordet. Die Erfahrungen mit dem ostdeutschen Überwachungsstaat, auch sie haben unser Denken geprägt über menschliche Würde, über Freiheit, Privatsphäre und Autonomie.
Diese Prägungen wirken fort bis in die heutige Zeit. Deshalb sind wir Deutsche vielleicht vorsichtiger als andere, wenn es um Freiheit und Autonomie in der digitalen Welt geht. Wir sehen die riesigen Chancen der Digitalisierung für die Zukunft. Und wir wollen und wir werden teilhaben an der Entwicklung der Technologie. Aber wir ringen eben auch mit der Frage, wie eine Ethik der Digitalisierung aussehen kann, gerade wenn es um private Daten und Überwachung geht. Natürlich waren "Big Data", "Artifical Intelligence" oder "Social Media" für Karl Marx keine Begriffe. Umso erstaunlicher, dass manche Marxsche Frage sich heute drängender stellt denn je: Entfremdung oder Befreiung? Mehr Überwachung und Kontrolle? Mehr Macht für wenige oder mehr Chancengleichheit dank digitaler, frei zugänglicher Ideen rund um die Welt?
Wir in Europa brauchen eigene, überzeugende Antworten auf diese Fragen. Unsere Richtung ist aus meiner Sicht die folgende: Wir wollen Antworten für mehr Selbstbestimmung und weniger Entfremdung, für mehr Teilhabe und weniger Ungleichheit. Antworten, die die Privatsphäre des Einzelnen höher bewerten als das wirtschaftliche Interesse von Unternehmen mit datenbasierten Werbe- und Geschäftsmodellen. Antworten, die unseren Bürgerinnen und Bürgern die Kontrolle über ihre eigenen Daten erhalten. Und Antworten schließlich, die die Befugnisse des Staates im digitalen Raum eng begrenzen, seine Aufgaben und legitimen Sicherheitsinteressen immer auf klare Rechtsgrundlagen abstellen und dem Einzelnen weiterhin Freiheit, Privatheit und Selbstbestimmung ermöglichen – geschützt auch in Zukunft durch unabhängige Gerichte. All das sollten Eckpfeiler einer Ethik der Digitalisierung sein!
So viel kann ich für Deutschland und Europa sagen. Die Europäische Union wird auch in Zukunft auf dieser Linie den rechtlichen Rahmen für Datenerhebung und Datenverwertung gestalten und durchsetzen – und sie wird von allen, die mit Europa und seinen mehr als 500 Millionen Bürgern handeln wollen, erwarten, dieses Recht zu achten. Zugleich weiß ich aber, dass diese Fragen heute in China vielfach ganz anders beantwortet werden. Gerade deshalb will ich darüber auf dieser Reise das Gespräch suchen. Erste Zusammentreffen mit Experten aus China hatte ich bereits. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn ich will weiter lernen und verstehen – auch wenn ich am Ende nicht mit allem einverstanden sein sollte, was ich sehe.
Die Gestaltung der Regeln für das digitale Zeitalter ist nur ein Beispiel von vielen existenziellen Fragen, die wir zu beantworten haben. Dazu zählt der gentechnische Eingriff in die menschliche Keimbahn, der in diesen Tagen Thema der Debatte in China und der Welt ist. Eine notwendige Debatte! Ich freue mich, dass sie auch hier offen geführt wird.
Die Welt um uns herum verändert sich, neue Möglichkeiten tun sich auf und alte Gewissheiten geraten in Zweifel. Oft wissen wir noch nicht einmal genau, was uns hinter der nächsten Wegbiegung erwartet. Um unter diesen Umständen überhaupt navigieren zu können, brauchen wir doch vor allen Dingen eines: eine Vergewisserung über unseren eigenen Standpunkt und unsere Rolle in der Welt. Auch bereits vor hundert Jahren war es für einige chinesische Intellektuelle, etwa für Hu Shi, den Kulturreformer und Philosophen, die zentrale Frage:
"Was bedeutet es, in der Welt zu sein?"
Was bedeutet es, in der Welt zu sein? Darüber denkt jedes Land zuallererst anhand seiner eigenen historischen Prägungen nach: anhand seiner Erfolge, ja, aber auch anhand seiner Irrwege. Eine zentrale Lehre des "Vierten Mai", der Umwälzungen vor hundert Jahren, kann sein, das Umfeld unserer Länder, die Nachbarschaft, mitzudenken – nicht nur im Sinne von Konkurrenz und Hierarchie, sondern im Sinne der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft. Wir Deutsche haben im 20. Jahrhundert für uns gelernt, die Interessen und Wahrnehmungen unserer Nachbarn in die Definition unserer nationalen Interessen aufzunehmen. Das eine ist nicht mehr ohne das andere bestimmbar. Das ist, was europäische Integration erst ermöglicht hat – und was sie für uns bis heute so wertvoll macht.
Wer sich in Deutschland oder China ernsthaft mit der Geschichte des jeweils anderen beschäftigt, der sieht schnell, dass der Pfad in die Zukunft für unsere beiden Länder sehr selten allein in unserer eigenen Hand lag – und dass er niemals vorgezeichnet war!
Ich bin sicher: Er ist es auch heute nicht. Die Zukunft ist offen, vielleicht offener denn je.
Deshalb kann es uns im Austausch miteinander auch nicht in erster Linie ums Rechthaben gehen. Es geht auch nicht um Abgrenzung, Ausgrenzung und Schubladendenken nach dem Motto: So seid Ihr – so sind wir. Sondern erst im Vermessen unserer Unterschiede, in der Auseinandersetzung miteinander schärfen wir unseren eigenen Standpunkt – und erschließen auch neuen, gemeinsamen Grund.
Unsere Wege verlaufen weder parallel noch über Kreuz. Sie sind nicht vorgezeichnet, sondern wir, in einigen Jahren Sie, die Jüngeren, bahnen sie erst selbst. Und wir bahnen sie in einem Spannungsfeld: China ist für Deutschland ein Partner, ein Wettbewerber und ein Kontrahent zugleich. Ich glaube: Selbst in dieser Spannung zwischen uns kann der Dialog, die Kontroverse höchst produktiv sein.
Bei allen Umbrüchen und Spannungen, die die Welt dieser Tage prägen, ist doch umso erstaunlicher, umso kostbarer, dass es ein Fundament gibt, das wir in der Vergangenheit gemeinsam vereinbart haben.
In wenigen Tagen erinnern wir an einen Meilenstein, einen Glücksfall der Geschichte: die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor genau siebzig Jahren. Zwei verheerende Weltkriege und Millionen Tote hat es gefordert, bevor sich die Staaten der Welt auf dieses gemeinsame Fundament, auf das Recht der Völker versammelt haben. Was auf diesem Fundament gewachsen ist, das multilaterale System, die Charta und Institutionen der Vereinten Nationen, Vereinbarungen und Regelwerke vom Handel bis zum Klimaschutz – all das war nie perfekt, nie für alle gleichermaßen da, nie ein Allheilmittel. Aber in all seiner Unvollkommenheit ist es dennoch eine unendlich wertvolle Errungenschaft.
Ich rate dringend: Wir dürfen das gemeinsam Vereinbarte weder schwächen noch aufgeben! Wir leben in einer Zeit der Verflechtung, der gegenseitigen Abhängigkeit. Wir brauchen dieses gemeinsame Fundament dringender denn je – auch weil ich fürchte, dass solch ein Werk uns heute nicht nochmal gelingen würde!
Kang Youwei, der große Reformer und Philosoph, hat, ebenfalls vor hundert Jahren, die Utopie einer "großen Gemeinschaft" beschrieben, die die Grenzen von Nation, Rasse, Geschlecht und Hierarchie überwindet. Die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft ist also kein westlicher oder östlicher, kein europäischer oder asiatischer, kein deutscher oder chinesischer Gedanke – sondern ein menschlicher! Vor siebzig Jahren ist es gelungen, dieser Hoffnung ein reales Fundament zu geben: ein Fundament aus gemeinsamer Sprache, gegenseitigen Erwartungen, verbindlichen Regeln, verbrieften Rechten. Welch eine Errungenschaft! Gerade wenn von einflussreichen Mitbegründern dieser Ordnung Zweifel gesät und Distanz gesucht wird, dann müssen wir – Deutschland und China – umso mehr für die Erhaltung dieser Ordnung eintreten, vom Handel bis zum Klimaschutz und darüber hinaus.
Deshalb ist mein Rat an Sie, liebe Studierende: Nutzen Sie das, wofür Generationen gekämpft haben – eine globale Ordnung, die Frieden und Zusammenarbeit erst möglich macht! Die Zukunft, die vor Ihnen liegt, wird kein Einzelner, kein Volk, keine Nation für sich allein gewinnen. Die Zukunft wird nicht im Kampf Jeder gegen Jeden liegen. Bauen Sie Ihre Zukunft auf das gemeinsame Fundament, das vor siebzig Jahren gemeinsam gegossen wurde. Es ist ein gutes Fundament!
Vielen Dank.
-----------------------------中文译文见二楼--------------------------


回复

使用道具 举报

1

主题

2

帖子

9

积分

新手上路

Rank: 1

积分
9
 楼主| 发表于 2018-12-14 04:15:16 | 显示全部楼层
译者:印象君  德国印象

非常感谢你们的友好邀请!我想告诉大家的是:今天能在这个传统悠久、名闻遐迩的大学发表讲话,我感到特别荣幸。

  我很高兴,今年再次到访成都。我上一次来这里是2008年,那时情况与现在完全不同。当时这里刚刚经历了一场可怕的地震灾害。数万人失去了生命,数十万人受伤。对千百万人来说,那场地震就是一道深深的切口。我本人也对那时的所见所历至今不能忘怀。

  而今,十年之后,我充满钦佩地看到,四川再次美丽绽放。成都在这十年里的发展也令人叹为观止。明天我将去都江堰参观一个灾后重建的小学。

  我钦佩这个城市和整个这一地区的人们战胜灾害、重建家园的意愿。

  我前几次访问的时候就体会到,四川是一个让人可以相互学到很多东西的地方!从印刷术到毛笔的发明,再到在此得到完善的人工灌溉方法,这些重要的人类文明产物都源于你们这里。

  反过来,你们这一地区在把新思想从外部带入中国并使其在中国开花结果方面发挥了重要作用。这一点从四川丰富的文化和多样性上我们今天仍然可以看出来——更不用说美妙的菜肴。特别是在中国纪念改革开放四十周年的今年,我很高兴能回到这个城市。因为:成都一直以来都是通向外部世界的门户,代表着探索新事物包括陌生思想的好奇心。

  而且,我可以这样说:成都也是我本人通往中国的门户!我第一次到中国访问的时候也来到了这里,距今已快二十年了。

  从那时以来,我多次访问了你们的国家、在世界各地同中国人交谈、对中国文化有了更多的了解,并且从未停止过了解这个伟大的国家并向其学习!

  此次来华访问,我再次来到你们的城市,还有北京和广州,同第一次访问中国时一样。这次访问是我担任联邦总统以来时间最长的一次出国访问,这并非巧合,而是中德特别深厚密切和多层次关系的体现。

  我们两国关系错综复杂,不能一概而论。遗憾的是,世界上又开始流行以非黑即白的方式来描绘国与国、民与民之间的关系。但这与中德之间几十年发展起来的东西实不相符。现在每个月都有数千名德国人和中国人去对方国家旅行。中国留学生已成为在德留学生中最大的群体,而今天在场的,我看到也有一些德国留学生。两国企业中很多已经成为伙伴、很多也成为强劲的竞争对手。中德两国都获益于开放的国际秩序,它是我们两国创造富裕和安全的前提。在许多关乎未来的问题上,如在应对气候变化及其后果这一问题上,我们有着相同的利益并互相合作。我们的关系从来没有像现在这样密切。

  正因为相互交织日益密切也使不同之处得以显露。纵观两国的社会形态和个体角色,我们会看到某些明显的不同之处。对待这些错综复杂性、这些不同之处需要双方特别谨慎。我来中国次数越多,对我们关系的多层次性就越清楚,也愈加明白,对此必须尽可能坦诚和建设性地加以对待。其中我今天想谈的是:我的学习经验和我的问题,还有我自己的漫长的中国之旅。

  中国伟大的哲学家老子曾写道:千里之行,始于足下。中国和德国之间相距显然不止千里。多年前,当我迈出通往中国的第一步的时候,对我而言,中国几乎还是一个未知的世界。许多德国人那时也都觉得中国是如此的遥远,远不止千里。我最近从书架上找出了我的那本旧世界地图集。这是一本厚重的书,九十年代出版的,里面有全世界各地的好多地图:美国和俄罗斯当然都有自己单独的地图,欧洲和许多欧洲国家也有,印度、澳大利亚和加拿大也都有自己的页面。连北极和南极的冰疆雪域也都完整呈现。只是想要寻找一张能“一目了然”的中国地图是徒劳的。

  今日的情形与以往已经迥然不同,简而言之,中国已经从边缘进入到世界政治关注的中心——这种变化背后的驱动力主要是经济。我第一次来中国的时候,中国已经实行改革开放政策25年。中国当时已经是德国在亚洲最大的贸易伙伴。今天中国是我们在全球范围内最大的贸易伙伴。而德国是中国在欧洲最大的贸易伙伴。两国国民经济深度交织——而且还不止于此:中德两国的国民经济现在已经彼此依赖。

  因此,我们德国人也直接见证了中国在改革开放四十年里取得的成就。当时就是你们的四川老乡邓小平凭着胆识和远见带领中国走上了改革之路。他曾经说过“我是维吾尔族姑娘,辫子多”,意思是,即便面临很多批评、即便在艰难的政治处境里也应该勇敢面对并努力去寻找务实的解决办法。从那时起,正是凭借这种务实精神、勤奋和雄心壮志,中国成功地使数亿人摆脱了贫困。今天许多中国人享有富裕的生活和良好的医疗保健、基础设施和教育。从我首次访问中国以来,这些年里中国经济名义增长了七倍多!从中获益的首先是你们自己。但是,中国史无前例的增长也为德国的繁荣做出了贡献。

  我们相互交织的道路并不总是平平坦坦、一帆风顺。在国际市场上,尤其在高科技领域,我们一再成为竞争对手。这使德国企业和员工有时受到严峻考验。几年前,在我作为联邦议员在当时的联邦议院里所代表的那个地区,在德国东部地区,短时间内就有两家大的太阳能技术企业因为再也无法承受来自中国企业的竞争而倒闭。德国高科技企业现在有时候以德国企业不愿意出的价格被中国企业收购。有些德国公司的董事会常常为难以达到的中国市场准入条件所困扰,它们遭遇一些我们在德国不曾为外国市场参与者设置的条件。凡此种种,背后都是涉及相互公平的既棘手而又重要的问题。我坚信:只有相互对话,才能找到对双方都公正的答案。因此,我们两国在政治和社会层面为强大的经济关系提供积极支持是很好的事情。现在两国政府之间已经有80多个定期举行的对话机制、高校间的合作项目远远超过1000个,非政府组织之间也存在着密切交流。

  我想特别提及我们大概20年前建立的中德法治国家对话机制。开展这一对话并不容易,但我从众多交流中得知,双方都珍视这一对话。“法治国家”这个词语对我们德国人来说有着丰富的内涵:国家行为的可靠性和可预测性、民众对共同相处规则的信任,还有我们过去遭受专制和暴政统治的经历。而且我们也看到:中国社会和私营经济的发展越多样化,对不受外部独断专行影响的法律保障和符合法治原则的程序的需求就越大。在这一点上,可能来自不同背景的我们对许多事情的看法也还不一样。但法治国家对话在各种成功的交流机制中属于最有成效的之一。

  尽管我曾多次来到中国,但每次重新到访,我的感觉与我的许多同胞仍别无二致。德国人来到中国如果向窗外看去,起初一定是惊叹不已。我们看到,一座座城市如何崛地而起,铁路线如何飞速铺展绵延万里,高速公路和机场如何建到了偏远地区,一个幅员辽阔的国家如何配备上了最先进的基础设施。我向各位保证:我们德国人怀着深深的敬佩关注着这一切!

  有时,事实也确实是,德国人会感到有些不安。中国所发生的一切不仅改变着中国,也改变着整个世界。中国改变着我们一直以来所熟知的这个世界——并且速度惊人!因此,也许可以理解,在这种赞叹中也掺入了些许担忧。这种担忧体现为一个我在德国经常听到的问题:“这一切会引向何方?”

  这一切会引向何方?没有人知道这个问题的答案,我也不知道。而且我猜:即便在中国,也没有人知道这股势头将引向何方。它过去更多的是由欧洲和西方、如今则越来越多地由中国在推动和促进。

  但有一点是明确的:我们德国人思考中国今后要走的路时,应该首先去理解现在的这个中国过去曾走过的路。

  而在此过程中,有时我们甚至又与自己相遇。因为“这一切会引向何方”这个问题不仅是今天我们提出的,中国人关注西方时也在问这个问题。

  比如100年前,那也是一个大变革的时代。在欧洲,我们这些日子常常回想起那个时代。我11月刚刚与英国和法国的朋友们共同纪念了一战的结束——此后在柏林纪念了德国历史上第一个共和国的诞生,君主制的废除和民主先河的开启。

  100年前的那时,各位的先辈可能也曾望向欧洲并问道:“这一切会引向何方?”五四运动,中国的第一次大规模政治运动期间,大学校园里和走上街头游行的人们希望从西方列强的错误中吸取教训,避免重蹈覆辙:不要夸大的民族主义,因为它导致了世界战争;要开放中国,要天下一家的理念。中国的思想家和决策者当时得出结论,剑拔弩张和民族利己主义带不来持久的崛起。我认为,时至如今,这一结论对整个世界的现实意义比起当年毫不逊色。

  文学巨匠巴金也是成都人,在他精彩的小说《家》一书中,他描绘了100年前那个激流涌动的时代:现代主义者和传统主义者之间的冲突,思想的全球化初步开启。

  坦率同各位说:不仅是这个例子,并且每次访华,中国所展现出的探索的好奇、学习的热情、求知的渴望都让我印象深刻。我希望更多的德国人能更进一步地去深入了解中国:了解她的历史、文化和语言。只有了解了对方的多样性,做判断时才不会片面狭隘!

  就我自己的体会而言:每一次的会谈、阅读、访问都在不断改变和丰富我对中国的看法。我了解到,我们对对方的预期会不断得到修正或改变。因此我认为相互理解对方的意愿就愈发重要。这也包括愿意去理解,为什么对方的做法也许不符合自己的预期,为什么中德两国虽然已如此紧密交织,在一些方面却仍然疏远和陌生。

  德国人有很长一段时间都期望着中国在朝着繁荣富裕、市场经济和社会及国际开放的发展过程中会变得与西方国家越来越相像,期望中国的道路有朝一日汇入我们的道路,我们曾以为历史早已清晰地指定了我们的这一条必经之路,即:自由民主之路。但期望落空了。

  因为尽管相互紧密交织、尽管相互合作、尽管遵守着相同的国际秩序,我们的历史背景是不同的,对作为社会群体如何生活的设想仍然相去甚远。德国在上世纪给邻国并最终给自己国家带来了深重苦难,鉴于这一历史背景,人的尊严被写在我们宪法的开端、写入宪法第一条。看到中国的经济崛起,我们充满敬佩和赞叹。恰恰是在1945年后不得不在废墟之上重建自己国家的德国人,可以体会,中国得作出多大的努力,才使无数深陷贫困的人们有了前景和希望。没有人有权轻视这一成就。能使上亿人口脱贫,这是了不起的、非常了不起的。但问题是:这就足够了吗?或者更好地说:由此就满足了民众托付给我们的期望了吗?

  我们自己的历史告诉我们,人的需求——从长远看——并非只关乎物质。我们德国历史中曾有很多年都笼罩在不自由和压迫的阴影之下。因此,事关那些与主流思想持不同意见的人、那些少数民族群体或想要从事自己信仰的宗教活动的人、那些非暴力地和平地宣传自己想法和主张的人,我们德国人或许就会特别敏感和关注。所以,无论何地当个人自由受到限制时,我们都会感到担忧和不安。

  在中国人们有时可能会觉得我们指手画脚、多管闲事。但我想向大家传递的信息是,我们的态度背后是我们的经历,而这种经历不仅只给德国留下了深深的烙印。因为从两次世界战争、从以德国之名犯下的史无前例的罪行中,我们大家最终共同得出了以下教训:要放弃武力、不要强权,要规章制度、不要肆意妄为,要合作、不要对抗,个人的尊严和平等是不可侵犯的权利——这是我们在这世上共处的基本原则。而维护我们共同生活的这个世界的和平与宜居,无论我们之间存在多大的差异,永远是我们共同的责任!为此我们愿与你们一道努力!

  我上次访华是两年前。一如既往,当时我也学到了新的东西:中国人读马克思又读得更多了!今年是马克思诞辰200周年。而他的家乡特里尔因此甚至获得了中华人民共和国赠送的这个城市著名儿子的一座金色雕像。

  值此周年纪念之际,我认为:不仅对于现实问题、而且对于历史和思想层面相同的参照点,德国人和中国人完全可能有不同的见解。卡尔·马克思无疑是一个伟大的德国思想家,一个有影响力的哲学家、经济学家、历史学家、社会学家,一个也许不那么成功的教育家和工人领袖。

  然而同样真实的是:马克思也一直是一个充满激情的人道主义者。他呼吁新闻自由、人道的工作条件、人人享有教育、女性享有政治权利、甚至在那时就呼吁:保护环境。他的激情来源于他对被剥夺权利的人的尊严和自由的同情和理解。

  但同样真实的还有:马克思并没有止步于理论,马克思主义并不只存在于书架上或大学研讨课中。我们德国人在谈论马克思时,不可避免地会立即联想到曾经在东德和东欧以马克思主义之名所造成的灾难,联想到40多年铁幕下的沉重年代。那时马克思主义高于一切,个体却毫无价值。那时家庭破碎,邻居反目、公民被囚禁在墙后、逃亡者被杀害——多么残酷。东德时期国家监视的经历也影响了我们对人的尊严、对自由、隐私和自主的观念。

  这种影响一直持续至今。因此涉及到数字世界的自由和自主,我们德国人可能要比其他人更为谨慎。我们看到未来数字化的巨大机遇。我们希望并且我们将参与这一技术的发展。但我们也为数字化的伦理问题绞尽脑汁,尤其是如果涉及到个人数据和监管。当然马克思并不知道“大数据”、“人工智能”或“社交媒体”。因此,更令人惊异的是,一些马克思式的问题在今天比任何时候都更为迫切:异化还是解放?更多的监控和管制?让少数人掌握更多权力,还是通过数字的、全世界范围内都触手可及的思想理念去创造更多平等机遇?

  对于这些问题我们需要欧洲自己的、令人信服的答案。我认为我们的方向如下:我们要加强自主、减少异化,加强参与、减少不平等。个人隐私要高于那些广告和商业模式基于数据的企业的经济利益。我们的公民要能掌控自己的数据。最后,还要严格限制国家在数字空间的权限,其任务和正当的安全利益要总是建立在明确的法律基础之上,个人要继续享有自由、隐私和自主决定权——这些在未来也要受到独立法院的保护。以上这些都应当是数字化伦理的基本原则!

  这些就是关于德国和欧洲我可以与大家分享的。欧盟在未来也会根据这些原则制定和贯彻数据收集和数据处理的框架性法律——并且也期望所有同欧洲及其5亿多公民打交道的各方尊重这些法律。但同时我也知道,这些问题今天在中国的答案有着诸多不同。正因为如此,我想在此行期间开展这方面的对话。我已经同中国的专家们进行了首次会晤,对此我深表感谢。因为我想更多地去了解和理解——即便最后我也许未必会赞同我的一切所见所闻。

  制定数字时代的规则只是亟待我们回答的许多关键问题中的一个例子。这方面的问题还包括人类胚胎基因编辑,在中国和世界各地,这些天人们都在讨论这个问题。开展这一讨论非常必要!我很高兴,在中国也对此进行公开讨论。

  我们周遭的世界在变化,新的可能性在产生,曾经确定的在陷入质疑。我们往往甚至无法确定在下一个转角等待我们的将是什么。为了在这种情况下不迷失方向,我们首先需要一点:确定我们自己的立场和在世上的角色。早在100年前,对于一些中国学者而言,比如新文化运动的领袖、哲学家胡适,这就已经是个核心问题:

  “存在于世有何意义?”

  存在于世有何意义?各国都会首先根据自己的历史来思考这个问题:根据它的成功,但也根据它所走过的歧途。从“五四运动”、从百年的大变革中得出的一条核心教训可能是:我们国家的周边环境、邻国、也应得到考虑——不止是从竞争和大小强弱层面,更是从塑造共同未来的层面。我们德国人在20世纪学到,要将邻国的利益和感受纳入我们对自己国家利益的定义。两者相辅相成。正是这才使得欧洲一体化成为可能、并使之迄今对我们如此宝贵。

  德国人或中国人如果去认真研究对方国家的历史,会很快发现,对于我们两国而言,通往未来的道路很少仅由自己决定——并且从来不是预先指定好的!

  我坚信:今天也仍然如此!未来是充满可能的,或许比以往任何时候都充满更多可能。

  因此我们的相互交流最重要的并不在于孰是孰非,也不在于隔离、排斥和定式思维,其所依据的座右铭:“你们是那样的——我们是这样的”。只有在丈量彼此的差异、在相互探讨研究中,我们才能使自己的立场更为清晰——并开拓新的共性。

  我们的路途既不是平行线,亦不是交叉线。路途不是预先指定好的,而是由我们,过些年后由你们、年轻的一代自己开辟。而我们在一个充满张力的环境中开辟自己的道路:中国是德国的伙伴、竞争者和对手。我认为,即便在我们彼此之间的这种张力里对话和争论也可以非常有成效。

  当今世界存在着诸多变革和各种张力,因而,有一个我们在过去一致达成的基础,也就更不可思议、更弥足珍贵。

  几天后我们即将纪念一个里程碑式的事件,一桩历史的幸事:整70年前《世界人权宣言》的通过。两次毁灭性的世界大战和千百万被夺去的生命,才让世界各国相聚并达成了这个汇集了各国人民权利的共同基础。在这一基础上发展起来的,是多边体系,是联合国的宪章和机构,是从贸易到气候保护的一系列协定和规章制度——所有这一切从来不是完美的,从来不是对各方具有同等效力的,从来不是万能的灵丹妙药。但是尽管有这么多的不完美,这些仍是无比宝贵的成就。

  我迫切呼吁:我们不能弱化和放弃已共同达成的约定!我们生活在相互交织、相互依存的时代。我们比以往任何时候都更需要这一共同的基石——如此成就,我们今天一旦放弃,恐难再成!

  伟大的改革家和哲学家康有为,同样也是在100年前,描绘了一个“大同之世”的乌托邦,它超越国家、种族、性别和阶级的界限。可以说,对共同未来的希冀不是西方的或东方的,不是欧洲的或亚洲的,不是德国的或中国的思想,而是人类的!70年前人们得以给这一希冀奠定了现实的基石:共同的语言、相互的期许、有约束力的规则和白纸黑字确认的权利所汇成的基石。多么伟大的成就!恰恰是在现行国际秩序的一些重要共同创始方播散疑虑、寻求疏离之时,我们——德国和中国——就更要致力维护这一秩序,无论是贸易领域、气候保护领域还是此外更多。

  因此我给大家的建议是,亲爱的同学们:这个几代人为之奋斗的全球秩序,这个使和平与合作成为可能的秩序,让它为你所用吧!在大家面前的未来,不会有单打独斗的一个人、一个民族或一个国家独自成为赢家。一个人人相互为敌的世界是没有未来的。在这座70年前共同铸成的基石之上去创造你们的未来吧!这是一座非常好的基石!

  谢谢大家。
回复 支持 反对

使用道具 举报

0

主题

18

帖子

82

积分

注册会员

Rank: 2

积分
82
发表于 2024-1-29 11:28:16 | 显示全部楼层
感谢分享
回复

使用道具 举报

您需要登录后才可以回帖 登录 | 立即注册

本版积分规则

微信二维码
更多实用德国留学信息,欢迎扫描上方二维码,关注51deguo官方微信公众号。
免责声明:
    本论坛为德国留学官方讨论、经验分享论坛,请勿在本站发布非法、色情等不良信息,所有个人言论并不代表本站立场,本站不负任何责任。如发现有侵权行为,请与我们联系,我们将立刻从网站上删除,并向所有持版权者致最深歉意。

Archiver|手机版|小黑屋|我要德国 |网站地图

GMT+8, 2025-9-28 02:00 , Processed in 0.040402 second(s), 24 queries .

Powered by Discuz! X3.4

Copyright © 2001-2020, Tencent Cloud.

快速回复 返回顶部 返回列表